- Nach einer beispiellosen Wahl-Schlacht ist Österreich so gespalten wie selten zuvor
- Die HuffPost hat elf Österreicher gefragt, was jetzt zu tun ist - und wie sie auf die Zukunft ihres Landes blicken
Wenn
Österreich am Sonntag einen neuen Nationalrat wählt, geht eine monatelange Schlammschlacht zu Ende.
Alle großen Parteien haben mit immer neue Angriffe auf den politischen Gegner versucht, die Gunst der Wähler zu gewinnen. Islampanik, Meldungen über geheime Firmen in Israel oder
gefälschte Studien in islamischen Kindergärten: Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Auch das mag ein Grund sein, warum das Land nun so gespalten ist wie selten zuvor. Viele Österreicher sind verunsichert und blicken mit einem schlechten Gefühl auf die Zukunft des Landes.
Die HuffPost hat elf von ihnen gefragt, was jetzt zu tun ist - und wie sie auf die Zukunft ihres Landes blicken. Hier sind ihre Antworten.
"Ich freue ich mich auf den Wahltag. Weil es dann endlich vorbei ist"
Raffaela Lindorfer, Journalistin
"Schwester, was soll ich wählen?", hat mich mein Bruder, der in Deutschland lebt, kürzlich gefragt. Wäre Kern der bessere Kanzler oder doch Kurz? Kann man Schwarz-Blau irgendwie verhindern? Wäre das wirklich so schlimm, wie alle sagen?
Sollte man aus einem demokratiepolitischen Verantwortungsbewusstsein heraus eine Kleinpartei wie Neos oder die Liste des Ex-Grünen Mandatars Peter Pilz wählen, um sicherzustellen, dass sie nicht aus dem Parlament fliegen? Kann man die Grünen noch irgendwie retten?
Und was soll ich bitte mit den ganzen Umfragewerten anfangen? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung.
Wovon ich Ahnung habe - so wie mein Bruder, der ein politikinteressierter Mensch ist - ist jedes einzelne Wahlprogramm. Ich kenne jede Aussage jedes Spitzenkandidaten, habe unzählige Interviews, Leitartikel gelesen, Facebook-Postings geliked, geteilt, weggewischt, you name it.
Und so wie viele, die die jüngste Dirty-Campaigning-Affäre desillusioniert hat, was die politische Kultur in diesem Land betrifft, freue ich mich richtiggehend auf den Wahltag. Weil es dann endlich vorbei ist. Wir sind satt, haben genug gehört und gesehen.
Das Problem ist mittlerweile wahrscheinlich: Wir wissen zu viel, wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Deshalb lautet mein Vorschlag an meinen Bruder so: Vergiss das alles. Es ist eigentlich ganz einfach. Wähl den, dem du - so kitschig das klingt - dankbar bist. Dankbar dafür, wie das Leben hier in Österreich aussieht, und was dir woanders fehlt.
So war das mit dem Wahlkampf vor einer gefühlten Ewigkeit - lange vor diese Dirty-Campaigning-Sache - ja gedacht: Dass die Partei versucht, dich, und zwar dich ganz persönlich, von ihrem Plan zu überzeugen.
Im Endeffekt ist es ein gut informiertes Bauchgefühl.
”Kein Volk der Erde würde eine so erfolgreiche Regierung abwählen. Wir laut Umfragen schon”
Livia Klingl, Journalistin und Autorin
Wir haben einen Kanzler, der ist in der Welt sehr angesehen. Nur nicht bei uns.
Wir haben ein sehr gutes Wirtschaftswachstum und eine sinkende Arbeitslosigkeit. Kein Regierungspolitiker auf der Welt würde so eine Regierung sprengen. Bei uns schon.
Kein Volk der Erde würde eine so erfolgreiche Regierung abwählen. Wir laut Umfragen schon.
Wien ist seit Jahren in den Rankings eine der lebenswertesten Städte der Welt. Die Wiener sind darüber böse. Sie ahnen, wir sind ein seltsames Volk.
"Das ist nicht mein Österreich!"
Menerva Hammad, Bloggerin
Ich würde nicht sagen, dass ich mich vor der Zukunft fürchte. Was ich in den Medien höre und im Internet lese, das ist nicht mein Österreich und schon gar nicht mein Wien.
Ich konzentriere mich auf die zwischenmenschliche Beziehung und da haben mich die Österreicher niemals enttäuscht. Ich habe immer das Zitat von Mr. Rogers im Kopf: “Look for the helpers.”
Ich schaue mich in der Öffentlichkeit um. Sei es im Supermarkt, in der U-Bahn, oder einfach auf der Straße. Menschen lächeln mich an, fragen, ob sie mir helfen können und stehen auf, wenn ich mit meiner Tochter in der Straßenbahn einsteige.
DAS ist mein Wien und so lebt mein Österreich. Ganz egal wie die Wahl am Sonntag ausgeht: “I will be looking for the Helpers.”
"Die drei Parteien werden die Prozente unter sich ausmachen und im Moment bin ich über keine Kombination so richtig glücklich"
Pascal Stegemann, Fußball-Redakteur
Als Wahl-Österreicher blicke ich mit gemischten Gefühlen auf die kommenden Wahlen und die Zukunft Österreichs. Der Grund dafür ist, dass für mich keiner der Wahl-Kandidaten der drei großen Parteien (SPÖ, ÖVP, FPÖ) auch nur im Entferntesten wählbar erscheint.
Während mit HC Strache ein gefährlicher Mann an der Regierung beteiligt werden könnte, dem Neonazi-Verbindungen nachgesagt werden und dessen rechtspopulistisches und rassistisches Gedankengut in wackligen Zeiten nur zu gern von der Angst-Gesellschaft übernommen wird, sind die Alternativen unwesentlich besser.
Mit Kanzler Kern steht ein Politiker zur Wahl, der dünnhäutig auf Kritik reagiert und bestimmten Medien den Mund verbietet. Wer als Politiker das Land steuern will, muss in der Lage sein, mit medialer Kritik - wie unsachlich diese auch sein mag - umzugehen. Wer jede zweite Berichterstattung mimöslich aufnimmt und sogar Versuche der Zensur unternimmt, ist im Kanzleramt fehl am Platz!
Zu guter Letzt steht mit der ÖVP jene Partei zur Auswahl, die für mich lediglich als verlängerter Arm der Wirtschaftslobby dient. Der ÖVP geht es darum, Österreich als Wirtschaftsstandort attraktiver machen, mittelgroße und Riesenkonzerne zu unterstützen.
Doch Kurz und Co. vergessen, dass man mit Geld und Kapital eben nicht alles erkaufen kann. Der Zugang zu den Sorgen des kleinen Mannes ist den Herren in Schwarz scheinbar ziemlich gleichgültig. Als Handlanger der Wirtschaftsbosse geht es der ÖVP um maximalen Ertrag.
Wie und ob es dem kleinen Mann gut geht, scheint zweitrangig.
Leider bin ich nicht wahlberechtigt. Diese drei Parteien werden die Prozente unter sich ausmachen und im Moment bin ich über keine Kombination so richtig glücklich.
”Die Solidarität in der Gesellschaft sind dann wichtiger denn je, um gegen das Aushölen der Menschenrechte aufzutreten”
Raphaela Nije, Kindergartenpädagogin, Bezirksrätin
Ich sehe ein Erstarken der Zivilgesellschaft, da aller Wahrscheinlichkeit nach Österreich eine rechts-rechte Regierung haben wird.
Der Zusammenhalt und die Solidarität in der Gesellschaft sind dann wichtiger denn je, um gegen den Sozialabbau und das Aushölen der Menschenrechte aufzutreten.
”Österreich läuft Gefahr, in eine gespaltene, von Angst, Neid und Hass geprägte Gesellschaft zu zerbrechen”
Michael Huber-Strasser, Angestellter
Meine Vision ist, dass die Gehälter (im Handel, Verkauf) steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt und das Bildungssystem verbessert und ausgebaut wird und dadurch die Zukunftsangst und Abstiegsangst der Menschen sinken und damit auch Fremdenangst, Neidgesellschaft und die Anfälligkeit für Rechtspopulismus.
Dann kann sich eine Gesellschaft entfalten, in der das gemeinsame und respektvolle Miteinander gelebt wird und alle Menschen ein wertgeschätztes, chancenreiches Leben führen können.
Dafür braucht es einen Wahlsieg von Christian Kern, andernfalls läuft Österreich Gefahr in eine gespaltene, von Angst, Neid und Hass geprägte Gesellschaft zu zerbrechen.
”Ich bin optimistisch und schaue mit Zuversicht in unsere gemeinsame Zukunft”
Mirsada Zupani, Sozialarbeiterin
Ich bin 1992 als Flüchtling nach Österreich gekommen. Dieses Gefühl von Sicherheit nach monatelanger Angst ist einfach unbeschreiblich. Bis heute erlebe ich es nirgendwo so stark wie hier. Ich liebe das Land und die Leute. Hier habe ich geheiratet, meine Kinder bekommen, hier arbeite ich, hier lebe ich.
Ich bin überzeugt, dass auch die Zukunft von Österreich, trotz allem was uns derzeit beschäftigt und/oder Sorgen macht, eine großartige wird.
Österreich hat bewiesen, nicht nur einmal, dass Menschen hier ein großes Herz haben und die richtigen Entscheidungen treffen. Ich bin optimistisch und schaue mit Zuversicht in unsere gemeinsame Zukunft.
”Wir werden auch das überleben, was uns der Wahltag bringt!“
Brigitte Hornyik, Juristin und Feministin
Österreich ist reich und schön - nur nicht alle Menschen hier. Wir haben schon viel überstanden, auch eine schwarz-blaue Regierung, einen Burschenschafter und Tierarzt als Frauenminister, und vieles mehr.
Wir werden auch das überleben, was uns der Wahltag bringt!
Und ganz persönlich: Ich lass’ mir dieses schöne Land und meine Heimatstadt Wien sicher nicht nehmen - von nix und niemand! Lieber geh’ ich halt wieder auf die Straße, wie schon so oft, weil: Siamo tutti Antifascisti - Alerta - No pasaran! (zu Deutsch?)
"Ich sehe die Zukunft nur in der gemeinsamen Gestaltung unseres Landes"
Simon INOU, Journalist und Herausgeber von “Fresh Magazine"
Es gibt keine gemeinsame Zukunft solange Österreich nach dem Prinzip "WIR" und die "ANDEREN" funktioniert. Ich sehe die Zukunft nur in der gemeinsamen Gestaltung unseres Landes.
Wie es woanders im Lande funktioniert: Viele Menschen in ganz Österreich zeigen es tagtäglich auf individueller sowie gesellschaftspolitischer Ebene mit ihrem Engagement und ihrer Solidarität. Das ist für mich Zukunft.
”Die immer schwerer zu kontrollierenden Kräften des Raubritterkapitalismus”
Gernot Galib Stanfel, Musiktherapeut
Die wohl größte Gefahr ist ein aufkeimender Provinzialismus, der die starke Identität Österreichs nur in sich selbst und nicht in einem starken Europa verorten will.
Damit nimmt man sich unter anderem automatisch die Mitgestaltungsmöglichkeit unserer ureigensten Umgebung und setzt sich noch Methoden immer schwerer zu kontrollierenden Kräften des Raubritterkapitalismus aus, der keine geregelten Beiträge zu Gesamtgesellschaft leisten möchten.
Als zweites Problem sehe ich nachhaltige Versuche, eine aus dem christlichen Glauben abgewandelten politische Machtbewegung zu etablieren, die den christlichen Glauben ähnlich pervertiert und missbraucht wie der IS den Islam. Nur nicht mit martialischen Mitteln, sondern mit dem manipulativen Gebrauch von Wissenschaft, Kapital und wirtschaftliche Netzwerken.
Man könnte das in etwa als "apostolisch christliche Politik" beschreiben, die durchaus einen gewissen Retrofaktor hat. Diese Politik baut sich offenbar bewusst als Gegensatz zu einem christlichen Pendant eines wahrgenommenen eines "politischen Islam" auf.
Das produziert im Endeffekt ein gefährliches Weltbild, in dem Religionen in einer fix zugeordneten Kombination mit Kulturen ausschließlich bestimmter geographischer und territorialer Gebiete zugeordnet werden.
”Ich denke die Wahl wird Österreich nicht allzu dramatisch verändern - das ist leider schon vorher passiert”
Dorothea Schwab, Lehrerin
Ich denke die Wahl wird Österreich nicht allzu dramatisch verändern - das ist leider schon vorher passiert. Gegenseitige Anschuldigungen und Beleidigungen haben auch in Österreich zu einem Klima der Aggression geführt. Jeder ist jedem allein neidig, jeder vermutet hinter allem eine Intrige.
Das Miteinander ist völlig verloren gegangen in unserer Gesellschaft. Die politischen Kleinkriege haben das nur verstärkt.
Nach der Wahl wird es für die Politiker nicht einfach werden, das Vertrauen der Bevölkerung zurück zu gewinnen, vor allem von jenem Teil, der sie nicht gewählt hat. Das wird die politische Arbeit nicht einfacher machen.
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